Ein Neugeborenes ist das Reinste, das Unberührteste, Unverfälschteste der Welt: ohne Einfluss oder ideelle Prägung der Eltern, der Schule, des Berufes und der stetigen Gesellschaft. Niemand erwartet von einem Kind, sich auf die eine oder andere Art sexuell zu definieren. Es ist die Zeit von Unschuld und Freiheit von jeglichen Erwartungen oder Verpflichtungen. Erreicht ein Kind in einer westlich-modernen, sich liberal gebenden Gesellschaft jedoch einmal das Teenageralter, die Zeit von Experimentieren und Orientieren, Rebellieren und Identifizieren, wird vermutlich relativ schnell erwartet, ein ,,normales“ beginnendes Sexualverhalten an den Tag zu legen, beispielsweise klassischerweise das wachsende Interesse am anderen Geschlecht.
Wie damit umgehen?
Doch was geschieht, wenn besagtes Kind nicht am anderen, sondern womöglich am gleichen Geschlecht interessiert ist? Im besten Fall wird dies von seiner Familie und Freunden, wenn auch überraschend, als völlig akzeptabel positiv bewertet und nicht hinterfragt; dem Kind würde so eine liebevolle, vertrauenswürdige Unterstützung gegeben. Das genaue Gegenteil bedeutet der schlimmstmögliche Ausgang. Es werden Köpfe geschüttelt, getuschelt, sich abgewandt, die Nasen gerümpft; die Regungen von Körper und Emotionen des Kindes (oder Jugendlichen, oder Erwachsenen) werden als ,,unnatürlich“, ,,krank“ oder ,,verwirrt“ betitelt und abgetan. Der betroffene junge Mensch hat angesichts von Ablehnung und Zurückweisung, Vorurteilen und Engstirnigkeit keine andere Möglichkeit, als sich ebenfalls sprachlich und emotional zu isolieren. Das geliebte Umfeld verliert den Status des Vertrauten, des Beschützens und des Wohlfühlens: eine toxische Beziehung zu jeder Bezugsperson, die ihm negative Reaktionen entgegenbringt, ist das Ergebnis.
Kampf um Toleranz
Im Beispiel ein Kind, das seine Homosexualität beginnt wahrzunehmen, in Wirklichkeit alle Menschen der LGBTQ+-Gemeinschaft, ebenso Erwachsene: Haben sie Glück, werden sie aufgefangen, in Liebe und mit Toleranz, so akzeptiert wie sie eben, von Geburt an oder durch eigene selbstbewusste Entscheidung, nun einmal sind, und ihr vermeintliches Anderssein wird nicht zum Thema gemacht; haben sie jedoch Pech, erleben sie Jahre von Ausgrenzung, sozialer und mentaler Isolation, Einsamkeit, wenn nicht sogar offenem Hass, Diskriminierung und Verachtung. Man sollte doch meinen, im 21. Jahrhundert seien derartige Unterschiede keine große Sache mehr, wie diese Einblicke in die bunte Welt des Christopher Street Days veranschaulichen. Tatsächlich müssen die liebevoll genannten ,,Kinder des Regenbogens“ auch noch heute kämpfen: um ihre Selbstbestimmtheit, ihr Erscheinungsbild, für die angemessene medizinische und psychologische Betreuung, um die Aufrechterhaltung des Haussegens, wenn ihre Familien und Heimatdörfer ihnen nicht offen und herzlich gegenübertreten.
Ein Hoffnungsschimmer
Dennoch gibt es Hoffnung. Im Jahr 2020 scheint die Öffentlichkeit so gut wie nie zuvor auf das Thema und damit verbundene Konflikte vorbereitet zu sein: durch Podcasts, Talkshows, Reportagen, Hollywoodfilme und Seifenopern, Romanfiguren sowie öffentliche Politiker ist es heutzutage kaum einem weltoffenen Bürger mehr möglich, noch nie mit alternativen Konzepten von Sexualität konfrontiert worden zu sein. Und wenn die Aufklärung ihre aktuelle Sensibilität beibehält oder vertieft, die mediale Präsenz von unter anderen homosexuellen Menschen und die furchtlose, liebevolle Bereitschaft zu liberalem Gedankengut in unserer Gesellschaft weiter steigt, gibt es rosige Aussichten hinter dem Regenbogen.