Am 10. Mai 2019 kam der Film Ich bin Anastasia in die deutschen Kinos. Ich erfuhr davon durch die Werbung in einer Talkshow, wo die Protagonistin des Dokumentarfilms, Anastasia Biefang, zu Gast war und interviewt wurde. Der Film erzählt ihre Geschichte: mit achtezhn geht die biologisch als männlich geborene Anastasia zur Bundeswehr; sie macht dort Karriere.
Sichere Männerwelt
Assoziationen zum Thema ,,Bundeswehr“ sind vorwiegend geprägt von Klischees von Männlichkeit: Machtgehabe, Kontrolle, Machotum, Muskelaufbau und Körperlichkeit. Dass man es als Frau, als Soldatin, dort mitunter mit Diskriminierung, Bevormundung und Frauenfeindlichkeit zu tun bekommen könnte, ist eine nicht von der Hand zu weisende, verständliche Sorge. Sich nun aber vorzustellen, als ,,Mann“ Teil dieser Männerwelt zu sein, dort aufzusteigen, gute Freunde und Kameraden zu haben, um dann auf dem Höhepunkt seiner Karriere zu verkünden, man sei aber gefühlt schon seit langer Zeit eine Frau, ist für die meisten Menschen kaum möglich.
Frau Biefang gelang genau dies. Sie vertraute sich ihrem Vorgesetzten an, der schließlich den Rest ihrer Truppe informierte: Tolerant und sachlich trug er den Sachverhalt bei einer alltäglichen Besprechung vor. Der Dokumentarfilm zeigt eindrücklich, wie die Entscheidung der Soldatin entgegen allen Erwartungen auf toleranteste Weise von ihren Kameraden unterstützt wird; sie wird die erste Transgender-Frau bei der Bundeswehr, bei der sie mittlerweile als Oberstleutnantin ein Bataillon in Brandenburg kommandiert.
Hoffnung über Angst
Das Interview sowie der Film berühren auf mehreren Ebenen. Die emotionale persönliche Geschichte einer Einzelperson, die ,,im fremden Körper“ geboren ist, und dafür kämpft, sie selbst sein zu dürfen, bewegt ebenso wie die bedingungslose Solidarität ihrer Kameraden und ihres Vorgesetzten. Außerdem erscheint es absurd, dass man als Zuschauer selbst im Jahr 2019 aufgrund der Geschichte sofort erwartet, Anastasia würde auf Ablehnung und Ausgrenzung stoßen. Es ist ein Hoffnungsstrahl für alle noch im Verborgenen, in Angst lebenden Personen, die ihre Emotionen teilen.
Natürlich wirft der Film auch beim Publikum die Frage auf, wie man selbst reagieren würde, im Falle eines Arbeitskollegen, der sich entscheidet, sein biologisches an sein empfundenes Geschlecht anpassen zu lassen. Bei aller Toleranz, die man sich wünschen und von sich selbst und anderen ja eigentlich voraussetzen würde, ist die Antwort auf diese Frage ehrlicherweise nicht einfach. Dass Anastasia Biefangs Geschichte nun so öffentlich aufgearbeitet wurde, wird hoffentlich ein Schritt in die richtige Richtung sein und dazu beitragen, anderen Menschen sowie anderen sexuellen Orientierungen genauso respekt- und vertrauensvoll zu begegnen, wie man es sonst auch getan hätte. In dieser Hinsicht ist das berufliche Umfeld der Frau Oberstleutnantin ein leuchtendes Vorbild für unsere Gesellschaft.